Samstag, 5. Dezember 2009

Istanbul

Nun also die Geschichte, wie der Düns zu seinem Namen kam. Es war einmal vor langer Zeit, dass ich in der Südosttürkei war, und in diesem vielgelesenen und für die Nachwelt wertvollen Blog ankündigte, dass ich darüber mal einen Reisebericht schreiben würde. Hab ich natürlich nicht gemacht, hab ich euch ganz schön durcheinander gebracht damit… Um euch jetzt noch viel mehr zu verwirren, werde ich in diesem Istanbul-Eintrag jetzt erst einmal über das wilde Kurdistan schreiben. Ich fuhr also noch während jener großen Hungersnot, die sich hierzulande Ramadan nennt, gen Nordosten. Irgendwann kam ich dann ins Land der Türken, wobei dieser Teil des Landes der Türken hauptsächlich von Bergtürken bewohnt wird. Der Bergtürke als solcher ist leider ein bisschen rückständiger als sonstige Türken. Deswegen hat der Bergtürke bis heute noch nicht eingesehen, dass er ein Bergtürke ist und behauptet steif und fest, er sei ein Kurde. Zum Glück unternimmt die unvergängliche türkische Armee, vor vielen Jahren geführt und gegründet vom noch viel glorreicheren Mustafa Atatürk, ruhmreiche Anstrengungen, den Bergtürken fortzubilden. Zu diesem Zweck errichtet sie erstens große Heerlager im Bergtürkenland und zweitens sucht sie sich vorzugsweise gut sichtbare Berghänge aus, um dort große Sprüche wie „Önce Vatan“, „Ne mutlu türküm diyene“ (Wie glücklich, wer sagen kann, Türke zu sein) und vergleichbare Weisheiten zu verewigen. Leider haben die rückständigen Bergtürken bisher nicht die geistigen Fähigkeiten erlangt, um die tiefere Wahrheit, die in diesen, häufig auf Mustafa Atatürk zurückgehenden, transzendenten Sinnsprüchen steckt, zu erkennen. Allerdings ist der klägliche bewaffnete Widerstand der Bergtürken in den letzten Jahren noch schwächer geworden, als er sowieso schon immer war, und kann der ruhm- und siegreichen türkischen Streitmacht nun kaum noch etwas entgegensetzen. Deswegen ist es für den gemeinen Europäer auch sicher, das Bergtürkenland zu bereisen. Größere Probleme bereitet dem des Türkischen sowie der verschiedenen „Sprachen“ der Bergtürken nicht mächtigen gemeinen Europäer die zivilisationsferne Unkenntnis jener Bergtürken, die sich bisher weder den Vorzügen des Türkentums noch jenen der Englischkenntnisse geöffnet haben. Euer wackerer Erzähler musste sich also einen Großteil seiner Reise mit Händen, Füßen und den paar Türkischbrocken, die er sich angeeignet hat, durchschlagen („Wie Geld?“, „Bus wo?“). Im Bergtürkischen beherrscht er nur „Danke“ und „Guten Tag“. Zum Glück gibt es in einigen grenznahen Regionen der Türkei auch Menschen, die Arabisch sprechen, Alhamdulillah. Jedenfalls ging die Fahrt für mich über Aleppo und Antep (von den Türken aufgrund der heldenhaften, tapferen und hochpatriotischen Verteidigungstaten im glorreichen Unabhängigkeitskrieg unter Mustafa Atatürk mit dem Namen Gaziantep, „siegreiches Antep“ oder so, fragt Düns, versehen) nach Urfa (von den Türken aufgrund der heldenhaften, tapferen und hochpatriotischen Verteidigungstaten im glorreichen Unabhängigkeitskrieg unter Mustafa Atatürk und aufgrund von Namensneid nach der Umbenennung von Antep mit dem Namen Sanliurfa versehen, was auch irgendwas in der Richtung heißt, fragt Düns, siehe oben). Ist eine historische Pilgerstadt, war als Edessa mal Hauptstadt eines Kreuzfahrerstaats und ist angeblich, laut dem in Fragen historischer Bedeutung natürlich unglaublich (durchaus) informierten Lonely Planet, die „fünftheiligste“ Stadt im Islam (will gar nicht wissen, wie viele Städte den Titel sonst noch so beanspruchen) weil Abraham da jahrelang in so einer Höhle gehaust hat und Gott so einen Herrscher erschlagen hat, um ihn zu schützen, oder so… Sind jedenfalls schon recht viele fromme Muslime und auch viele Briefkastenfrauen dort unterwegs. Von dort bin ich dann mit so einem australischen Paar, die schon ziemlich beschränkt waren (Stadtplaner, oh ja, Düns, da siehst du mal!) die irgendwie das Bedürfnis hatten, alle Leute ständig anzutatschen, auf den Nimrut Dagh gefahren, ist so ein Berg mit Steinköpfen drauf. Soll wohl auch UNESCO-Weltkulturerbe sein und so. War wohl ganz schön, vor allem hat es dann oben geregnet und wir wurden völlig nass. Schon ganz geil, als wir dann wegen dem Nebel mit 2km/h da wieder runtergefahren sind. Aber der Weg dahin war schon interessanter als die ollen Köpfe da oben. Bin dann von Urfa nach Diyarbakir weiter, die Hauptstadt des Bergtürkenlands, am ersten Tag des Fests des Fastenbrechens (der Vorteil ist, dass man tagsüber wieder essen kann ohne schlechtes Gewissen und auch offene Essensläden findet). Dort hat es aber auch gepisst, war nicht so fett und außerdem war wegen dem Fest die ganze Stadt völlig leer. Dafür hab ich dort in so einer Kirche einen Menschen gefunden, mit dem ich zum ersten Mal, seit ich in der Türkei war, ein halbwegs vernünftiges Gespräch führen konnte, weil er ein bisschen Arabisch sprach. Von dort ging es dann weiter, 11 Stunden im Bus durch die beeindruckenden Berge des Bergtürkenlands (sogar ernst gemeint) nach Van. In der Gegend dort hinten waren so historische armenische Reiche, aber die glorreiche Vorläuferarmee der noch ruhmreicheren türkischen Streitmacht hat sich glücklicherweise darum gekümmert, dass es dort heute keine Armenier mehr gibt. Hab mir jedenfalls Van angeschaut und so armenische Kirchen und den Ararat drum herum, also so ein paar Tagesausflüge von dort aus gemacht. Vielleicht wäre es nicht so unvernünftig, die armenischen Kirchen und so auch noch wegzumachen, dann müsste man nicht immer versuchen, zu erklären, warum es dort keine Armenier mehr gibt (die ja, im Gegensatz zu den Bergtürken, nie Teil der von Mustafa Atatürk geschaffenen türkischen Nation gewesen sind, dafür sind sie jetzt tot, das ist ja auch etwas). Von Van bin ich dann zurück nach Diyarbakir (ungeplanterweise, wollte eigentlich früher aussteigen, hab das in meinem Nachtbus aber verschlafen) und von dort nach Mardin, da unten spricht man Arabisch und es gibt so Syrisch-Orthodoxe Klöster, die von lauter syrischen Christen besucht werden. Also in Mardin und Midyat zwei historisch höchst bedeutsame Klöster angeschaut, dazu ein andermal mehr, und dann über die Grenze bei Qamischli (hatte aufgrund dieses Grenzübergangs später am IFPO Besuch vom syrischen Geheimdienst, die wollten wissen, was ich in der Gegend zu suchen hatte, liegt nahe am Irak) und dann noch drei Tage in einem Kloster bei Hassakeh gewohnt, auch dazu später mehr. Im Übrigen möchte ich darauf hinweisen, dass ich in 10 Tagen Türkei nicht nicht bei jeder Mahlzeit Döner gemampft habe, sondern kein einziges Mal. Keinen einzigen Döner! Ich hoffe, dass alle Stammtischbrüder gleichzeitig fasziniert und abgestoßen sind von dieser Großtat. Habe es ja dafür leider auf der Tour nicht geschafft, in den Nordirak zu kommen, aber habe das schon als Projekt mit meiner Mitbewohnerin, mal dorthin zu fahren.
Womit ich gleich den Übergang zu Istanbul geschafft hätte, ma scha Allah. Ich hatte nämlich das große Vergnügen, mit dem Bus nach Istanbul hochzufahren. 10 Uhr abends in Damaskus los, um 3 Uhr morgens in Antakya, heute Türkei, angekommen, dort Pause, um 11 Uhr morgens mit anderem Bus weiter nach Istanbul, dort dann um halb 6 morgens beim Düns angekommen. In Antakya am Busbahnhof sind nachts nur abzockende Bastarde unterwegs, das können sie dort, abzocken. Auf jeden Fall hab ich die Busfahrt mit so einer Gruppe von ca. 10 Irakern gemacht, waren durchaus so die einzigen im Bus, mit denen ich sprechen konnte, womit wir auch wieder bei Händen und Füßen wären. Hab jedenfalls schon ein bisschen was über die aktuelle Situation im Irak dabei gelernt.
Irgendwann war ich dann da, beim Düns, der sich natürlich sehr über den Zeitpunkt meiner Ankunft gefreut hat. Istanbul ist geil. Schon eher eine große und interessante Stadt. Sechs Tage waren halt nicht annähernd ausreichend, da müsste man schon echt mal eine Weile wohnen. Die Unterschiede in der Stadt sind riesengroß, manche Viertel sind von Minirock tragenden jungen Damen bevölkert, andere wieder von Briefkästen. Von der Lebensweise scheinen die Unterschiede dabei noch viel stärker als zum Beispiel in Damaskus, das sowieso im Vergleich mit Istanbul mächtig abstinkt, ungefähr wie so ein Kuhdorf irgendwo JWD in der Provinz gegen Berlin. Hätte jedenfalls schon Bock gehabt, noch eine Weile da zu bleiben und dem Düns auf die Nerven zu gehen.
Wie kam der Düns zu seinem Namen? Gibt es einen Zusammenhang mit dem Döner? Ist es eine Kurzform von Dünnsch…? Liegt es daran, dass jedes türkische Wort wie üsüntülüdür klingt? Es ist ein großes Mysterium. Auf jeden Fall hat der Düns seine Gastgeberqualitäten bewiesen, indem er bis zum Morgengrauen um die Häuser zog, statt zu seinen Prüfungen zu gehen. Zwar hat er dabei manchmal ein bisschen weinen müssen, aber das sei ihm verziehen. Außerdem hat Düns die Mindestversorgung mit Börek, Riesenkartoffeln und Döner (jupp, diesmal schon) sichergestellt (auch wenn ich lange dafür bezahlen musste, weil Düns leider arm wie eine türkische Kirchenmaus ist und seine Bank ihn nicht mag). Lobenswert ist außerdem zu erwähnen, dass er seiner lyrischen Ader ein bisschen weniger Freiheiten einräumt, vielleicht wird er eines fernen Tages nicht einmal mehr als Mülltonnenpoet bekannt sein? Dies wäre natürlich ein schwerwiegender Verlust für den Stammtisch. Düns hat sich außerdem von jenen extraterrestrischen Klängen angetan gezeigt, die durch ihn auch dem ganzen Stammtisch zu Gute gekommen sind.
Irgendwann bin ich dann eines Morgens in der Früh wieder weg, durchgemacht, um 4 in den Flughafenbus, um 6 geflogen, viertel vor 8 in Adana, von dort nochmal 12 h mit dem Bus über Antakya nach Damaskus. Davon 2 h Aufenthalt an der Grenze, die haben dort so ein Pärchen hops genommen, das versucht hat, ca. 10 Koffer voller Klamotten einzuschmuggeln, was haben die sich nur gedacht dabei? Dann jedenfalls ohne die beiden weiter und abends in Damaskus als erstes noch die letzten 20 Minuten von Ägypten-Algerien geschaut, auch das noch ein Thema für einen weiteren Eintrag.
Fazit: Istanbul gut, Fahrt lang, Düns Düns, Ägypter und Algerier mögen sich nicht, Mustafa Atatürk war seinen Eltern Zeit seines Lebens böse, dass sie ihm so einen arabischen Namen gegeben haben, ließ sich dann einfach Kemal nennen, der Schlingel, die glorreiche und ruhmvolle türkische Armee gefällt sich darin, mit Steinen Sprüche zur Bildung der Bergtürken auf Berge zu schreiben, der Türke als solcher sollte in der Schule mal Fremdsprachen lernen, Allahu akbar.

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