Samstag, 5. Dezember 2009

Schwesternbesuch

Das konnte sie, meine Schwester, da sein. Kam in der Nacht auf Donnerstag an, aber ich hatte am Donnerstagvormittag noch Unterricht. Sind dann am Nachmittag Richtung Aleppo losgefahren, mitten in einem Riesenverkehrschaos. Ganz Damaskus schien zum Fest raus zu wollen, das ist allerdings auch wie Weihnachten bei uns. Wir jedenfalls irgendwann abends mit Verspätung in Aleppo angekommen und dann erst mal festgestellt, dass am Freitag wohl mehr oder weniger gar nix gehen würde. Das Geilste an Aleppo ist sein Suq, will heißen Markt, der erstens sehr groß und zweitens, im Gegensatz zu denen vieler anderer Städte im Nahen Osten, noch relativ authentisch ist und dort nicht nur merkwürdige Souvenirs verkauft werden, während die Einheimischen woanders einkaufen gehen. Dieser Suq jedenfalls sollte am Freitag völlig tot sein, da am Fest einfach alle Läden zu. Alternativplan war ne Tour zu Sehenswürdigkeiten in der Gegend von Aleppo zu machen. Das war aber auch nicht zu organisieren, da Services am Fest recht eingeschränkt. Wir also am Freitagmorgen, zwischenzeitlich zu viert (meine Mitbewohnerin und eine Freundin vom IFPO, die am Donnerstag noch später nachgekommen waren) erst mal recht planlos aufgestanden und wussten nicht so recht, was wir machen sollten. Sind dann aber per öffentlichem Verkehr und durch ein paar Leute, die uns freundlicherweise am Weg mitgenommen haben, zur wichtigsten Attraktion der Gegend um Aleppo gekommen, dem St. Simeonskloster, zu byzantinischer Zeit eine der bedeutendsten Pilgerstätten der Welt, wo damals so ein Exzentriker auf so einer Säule gehaust hat. War schon ganz geil dort, schöner Ort, Ruinen, man konnte mehr oder weniger ungestört dort rumstromern, klettern und ähnliche Späße abziehen. Nachmittags dann also zurück, wieder per Mitnahme, diesmal auf so einem Planwagen, an den sich dann so ein paar Männer hinten dran gehängt haben, damit wir drauf gepasst haben, und danach per Bus. Waren dann nachmittags wieder in Aleppo und haben dann doch noch beschlossen, in die Altstadt zu gehen. Das war aber durchaus bekackt. Straßen völlig leer bis auf irgendwelche Gruppen von Teenage-Jungs, die alle auf aggro durch die Straßen gezogen sind. Hab so was in Syrien noch nie erlebt. Abgesehen vom gelegentlichen Rip-Off sind alle Syrier ja extrem (gast)freundlich. Aber was an dem Tag in Aleppo abging, war durchaus jenseits von gut und böse. Die ´Jungs also alle im Hormonstau und völlig aggressiv durch die Stadt gezogen und dann auf uns, eine Gruppe von drei Mädels und einem Typ, gestoßen. Langes Nachstarren war noch mit Abstand das Harmloseste, was gemacht wurde, es gab auch einige, die grapschen und Ähnliches wollten. Sind irgendwann in so eine Gruppe von knapp 30 ca. 13-Jährigen geraten, die sich alle gegenseitig aufgeheizt haben, geklatscht, beschimpft, mit Gotcha-Kugeln beschossen, bis sich meine Mitbewohnerin einen geschnappt und den verjagt hat, woraufhin auch die Anderen abgehauen sind. Danach sind wir in die große Moschee, wo alles ruhig war, so ein Aufseher auch eine Gruppe von am Rad drehenden Jungs rausgeschmissen hat. Danach aber wieder raus und da ging der Spaß gleich weiter. Zitadelle war schon zu, wir also rein in den Markt. Waren wegen den ganzen Pennern alle schon auf 180 und sind da dann durch (mit durch die Gassen fließendem Blut an manchen Stellen, von den geschlachteten Schafen, in einer Straße wurde auch direkt geschächtet, wobei wir das Schächten selbst leider verpasst haben, konnten nur zuschauen, wie dem Schaf dann der Kopf abgeschnitten wurde). Dann kam der Punkt, wo mir meine Rugby-Fähigkeiten dann endlich mal wieder zu Gute kamen: Irgend so ein Witzbold packt meine Schwester an und bei mir brennen alle Sicherungen durch und ich bring ihn per irregulärem Tackling auf den Boden (für die Nicht-Rugbyspieler: Im Rugby ist es wegen der Verletzungsgefahr durchaus verboten, jemanden am Hals zu Boden zu reißen) und klopp ihn ein bisschen. Wird er wohl so schnell nicht wieder machen, so ein Mädel anzupacken. Da war ich wohl danach bei unseren Leuten schon so der Held, wobei ich mir durchaus Dinge vorstellen kann, für die ich lieber der Held wäre, als dafür, dass ich irgend so einen Syrer getackelt hab. Immerhin kam ich damit endlich mal dazu, all die schönen üblen arabischen Beleidigungen anzuwenden, die ich zwar kenne, aber nie sagen darf...
Am nächsten Tag waren wir dann nur in Aleppo selbst, Zitadelle, Suq, Altstadt, was schön war, im Suq waren wieder mehr Läden offen und außerdem waren mehr Familien unterwegs und die Leute waren wieder angenehm. Sind dann am späten Nachmittag nach Hama weiter, wo es so Wasserräder gibt, das ist allerdings auch mehr oder weniger das Einzige, was interessant ist dort. Liegt aber auch daran, dass es dort 1982 einen Aufstand gegen die Regierung gab, woraufhin die die ganze Altstadt mit Artillerie platt gemacht hat. Hat wohl schon ruhmreichere Kapitel im Leben des damaligen Präsidenten gegeben, mal wieder gibt es hier an dieser Stelle nicht mehr Details zu.
Von Hama aus haben wir am nächsten Tag so eine Tour mit ein paar Japonesen aus Taiwan und Korea gemacht und uns eine Burg aus dem Zeitalter der Kreuzzüge in Schaizar (in keinem Reiseführer aber ziemlich schön, vor Allem die Lage), Apameia (alte Griechen- und Römerstadt, inklusive Motorradgang, die dort rumcruisen und dir falsche Antiquitäten andrehen wollen), Musyaf (Hauptsitz der Assassinen in Syrien, das sind die Suchtis die sich immer zu Selbstmordattentaten aufgemacht haben) und zum Krak des Chevaliers (so eine nice Burg sieht man sonst eigentlich nirgends auf der Welt) gemacht. Das war schon ziemlich geil und nicht wirklich teuer. Am Abend dann nach Damaskus.
Am nächsten Tag war dann Wandas 18., haben das dann auch so gefeiert und so. Ansonsten sind wir durchaus auch eher ausgiebig in der Altstadt rumgelatscht, Azem-Palast (Residenz von so einem osmanischen Gouverneur, der es sich dort hat gutgehen lassen mit seinen 100 Frauen, um hier mal wieder Orientklischees zu bedienen, auch wenn er wahrscheinlich höchstens vier hatte), Umayyaden-Moschee (die ist wohl auch eher groß und schön und so, war jetzt selber auch zum ersten Mal in diesem Jahr drin), irgendwelche Khans im Damaszener Suq, Ananias-Kapelle, Sayyida Ruqayya-Moschee (so ein Glitzerbau, den der Iraner als solcher Anfang der 80er auf dem Grab einer Verwandten des Propheten errichtet hat. Damaskus hatte ja in der islamischen Geschichte den großen Vorzug, die Stadt zu sein, wo die damaligen Herrscher, eben jene Umayyaden, den ein oder anderen seiner Verwandten um die Ecke gebracht haben. Das sorgt dann auch dafür, dass hier immer wieder größere Busladungen Schiiten aus dem Iran zur Pilgerfahrt auftauchen.). Ansonsten einfach viel da rumgelaufen, hab dabei durchaus auch noch so die eine oder andere Gasse entdeckt, die ich nicht kannte.
Ab Dienstag hatte ich dann wieder Unterricht. Meine Schwester musste sich deswegen dann abschnittsweise alleine beschäftigen. War an dem Tag dann wohl in Bosra, da haben sie im Mittelalter ein römisches Theater in eine Burg umgewandelt und das dadurch in großen Teilen erhalten, schon eher beeindruckend auch.
Mittwochs waren wir dann wieder in Damaskus unterwegs, sie zuerst allein, ich dann nachmittags mit. Am Donnerstag waren wir dann in so einem schiitischen Pilgervorort von Damaskus, Sayyida Zeinab, wo an dem Morgen ein Bus explodiert war, laut den syrischen Ministerien „weil an einer Tankstelle ein Reifen des Busses explodiert ist“. Sehr wahrscheinlich natürlich, vor allem wenn man bedenkt, dass da in den letzten zwei Jahren schon jeweils Bomben hochgegangen sind… Man hat davon allerdings nix mehr gesehen (wobei wir auch nicht wussten, dass das dort ist, wir dachten, die Explosion sei bei Sayyida Ruqayya, siehe oben, gewesen). Am Freitag war Wanda in Maalula, ich im Unterricht und jetzt ist sie wieder weg. Und das war es auch erst mal von meinen Neuigkeiten.

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